Bürgerinitiative fordert Recht auf 11. und 12. Schuljahr für SPF-SchülerInnen
In der Praxis würden die freiwilligen zusätzlichen Schuljahre "seit einiger Zeit nur noch in den seltensten Fällen bis gar nicht" gewährt, kritisiert Karin Riebenbauer, selbst Mutter eines Sohnes mit Entwicklungsverzögerung, die mit der ebenfalls betroffenen Familie Mühlbacher die Bürgerinitiative gestartet hat. Die Eltern und Kinder stehen somit vor einem Problem: Sie dürfen nicht mehr in die Schule, obwohl diese Jahre für ihre kognitive Entwicklung und Reife wichtig wären und einen wesentlichen Beitrag zu einem möglichst selbstbestimmten Leben einnehmen. Laut der Bürgerinitiative stellt dies eine Ungleichbehandlung dar und entspricht nicht der UN-Behindertenrechtskonvention.
Am Montag wurde die Petition für das Recht auf Bildung bis 18 mit rund 35.000 Unterschriften im Nationalrat eingereicht, seitdem kann sie auf der Homepage des Parlaments unterstützt werden. Zusätzlich haben Riebenbauer und die Mühlbachers auf Basis abgelehnter Bescheide Klage gegen die Republik eingereicht.
Sohn hat erst mit 13 zu schreiben begonnen
Ziel sei, dass Familien künftig nicht mehr "ansuchen und bitten müssen", so Karin Riebenbauer. Durch die aktuelle Regelung dürften die Jugendlichen nach dem 10. Schuljahr nicht mehr in die Schule, dabei wären gerade diese zusätzlichen Schuljahre so wichtig für bessere Chancen auf einen Job am ersten Arbeitsmarkt und auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben. "Gerade in der Pubertät tut sich kognitiv viel", so Riebenbauer. Ihr Sohn etwa habe jetzt mit 13 zu schreiben begonnen.
Außerdem gehöre die aktuelle Ungleichbehandlung in dieser Frage beendet: Während in einigen Bundesländern die freiwilligen zusätzlichen Schuljahre eigentlich immer genehmigt würden, gebe es etwa in Wien mit Verweis auf zu wenige Schulplätze und Personal in der Regel eine Ablehnung.
Massive Folgen für betroffene Familien
Die Folgen für die betroffenen Familien seien massiv: Wer es sich leisten könne und einen Platz finde, könne die Jugendlichen in privaten Einrichtungen weiter beschulen lassen oder in einer Tageswerkstätte unterbringen, wo der Betrieb aber teilweise zu Mittag schon wieder ende. Teilweise stünden die Familien durch die Ablehnung "am Rande der Existenz", weil von einem Monat auf den anderen ein Elternteil zuhause bleiben müsse, berichtet Riebenbauer, die auch als Elternvertreterin an der Wiener Hans-Radl-Schule aktiv ist. Für die Kinder falle damit auch der Ort weg, an dem sie ihre Freunde treffen und wo ihr Sozialleben stattfindet.
Spätere Einschulung nicht möglich
Die geltende Rechtslage in Österreich geht aus Sicht der Bürgerinitiative-Initiatoren an den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) vorbei. So sei es etwa nicht möglich, Kinder mit Entwicklungsverzögerungen erst ein oder zwei Jahre verspätet einzuschulen, wenn sie tatsächlich schulreif sind. Gerade deshalb sei es auch so wichtig, dass die Jugendlichen mit Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen zusätzliche Schuljahre Zeit für Entwicklung bekommen.
Konkret wird in der Bürgerinitiative gefordert, dass Kinder mit einer Entwicklungsverzögerung aufgrund einer Behinderung (etwa Trisomie 21) bis zu zwei Jahre später eingeschult werden können. Außerdem brauche es einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr, dafür sollen inklusive Modelle an Berufsbildenden mittleren Schulen und Fachschulen geschaffen werden. Und es brauche mehr Fachkräfte für inklusive Pädagogik. Die Regierung wird auch aufgefordert, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen und dieses Feld durch bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung attraktiver zu machen.
Laut den aktuellsten verfügbaren Daten haben im Schuljahr 2020/21 rund 800 Schülerinnen und Schüler ein freiwilliges 11. und weitere knapp 300 ein freiwilliges 12. Schuljahr besucht, zeigt eine Anfragebeantwortung des Bildungsministeriums. Im selben Jahr wurden knapp 300 Schüler mit SPF später als gesetzlich vorgesehen eingeschult.
Zur Bürgerinitiative (inkl. Unterstützungsmöglichkeit)
Quelle: APA Science