Schulsuspendierungen - die Lösung!?

Die Zahl der Suspendierungen an Schulen in Österreich nimmt zu. Eine Suspendierung (aus lat. suspendere: unterbrechen, aufheben) ist eine vorläufige, sichernde Maßnahme der Schulbehörde. Gründe für eine Suspendierung: Wenn ein Schüler seine Pflichten (gemäß § 49 SchUG)  in schwerwiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln (§ 47 SchUG) oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung erfolglos bleibt, oder wenn das Verhalten des Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt. An allgemein bildenden Pflichtschulen ist eine Suspendierung wegen schwerwiegender Schülerpflichtverletzung nicht zulässig. Eine Suspendierung darf mit höchstens 4 Wochen bemessen werden.

Schulsuspendierung

Tendenz steigend

Ein Bundesländervergleich zur Entwicklung der Schulsuspendierungen im Laufe von vier Schuljahren zeigt, dass die steigende Anzahl von Suspendierungen zwar nicht für alle Bundesländer zutrifft - in Kärnten etwa sind die Zahlen im Vergleich zum vorigen Schuljahr 2021/22 gesunken, im Burgenland blieben sie gleich - doch die Tendenz ist steigend:

92 Prozent aller Schulsuspendierungen vom Schuljahr 2022/23 betreffen den Pflichtschulbereich: 64 % entfallen auf Mittelschulen, 19 % auf Volksschulen, 13 % auf Sonderschulen sowie 4 % auf Polytechnische Schulen.

Spannend wäre darüber hinaus noch zu erheben, aus welchen Gründen Suspendierungen ausgesprochen werden. Und auch, wie viele von den suspendierten Schüler:innen "Wiederholungstäter:innen" sind.

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Ultima ratio

Eine Suspendierung gilt als ultima ratio - als letztes Mittel und äußerste Option sozusagen, wenn andere Maßnahmen nicht mehr fruchten und Gefahr im Verzug ist. Und doch wird oft darauf zurückgegriffen, wie die Zahlen zeigen. Ein Antrag auf Suspendierung muss jedenfalls noch am selben Tag des Vorfalls an die zuständige Bildungsdirektion übermittelt werden (siehe Rundschreiben des BMBWF zur Vorgehensweise​​​​​​​). Dabei ist der Sachverhalt zu schildern und eine Begründung, warum von einer akuten Weitergefährdung auszugehen ist (z.B. einschlägige Vorfälle in der Vergangenheit).

Sehen wir uns zunächst ein kleines Beispiel einer Suspendierung aus Sicht der Eltern an:

Fallbeispiel aus Sicht der Eltern: Simon und seine Wutausbrüche

Simon F. (Name von der Redaktion geändert), Schüler einer zweiten Klasse Mittelschule in OÖ, wurde schon mehrmals suspendiert. Immer wieder bekommt er - wenn ihm beispielsweise etwas nicht gelingt - Wutausbrüche, die sich dann auch gegen Mitschüler:innen richten oder gegen das Schulmobiliar. Gefahr im Verzug. Aus Sicht der Schule verständlich und eine Schutzmaßnahme - die Auswirkungen auf die Eltern sind oft fatal. "Wir standen jedes einzelne Mal vor großen Herausforderungen hinsichtlich Betreuung - vor allem wenn keine Großeltern aushelfen können. Man muss schon einen sehr kulanten Arbeitgeber haben, der kurzfristige Urlaube genehmigt", so die Mutter von Simon, die in Teilzeit als Pflegefachkraft in einer Klinik arbeitet. "Ich und mein Mann wechseln uns dann ab, wenn Simon wieder einmal von heute auf morgen zuhause bleiben muss. Ich möchte betonen, dass Suspendierungen meinem Sohn keineswegs weiterhelfen - ganz im Gegenteil, die ohnehin angespannte Situation verschärft sich dann zuhause noch weiter, da wir Eltern den Unterricht zuhause übernehmen müssen, um mit dem Stoff nicht nachzuhinken." Von der Stigmatisierung durch andere Eltern spreche sie da noch gar nicht. 

Das ist nur eines von vielen Beispielen der Auswirkungen einer ausgesprochenen Schulsuspendierung. Sie stellt ein komplexes Problem dar, das verschiedenste Ursachen haben kann: Verhaltensprobleme der Schüler:innen, mangelnde Unterstützung durch das Schulumfeld, sozioökonomische Faktoren und vieles mehr.

Thomas Krebs, stellvertretender Vorsitzender der Pflichtschullehrergewerkschaft, ist von der Wichtigkeit einer Begleitung durch gezielte Maßnahmen während einer Suspendierung überzeugt. "Suspendierte Schüler:innen müssen für die Rückkehr in den Unterricht vorbereitet werden", so Krebs in einem Ö1 Interview Anfang Februar.

Fehler im System Schule?

"Eine gute Lehrer-Schüler-Beziehung nach einer Suspendierung aufrechtzuerhalten ist eine Kunst", so die Lehrerin von Simon, die anonym bleiben möchte. Sie betrachtet den Anstieg der Suspendierungen mit Sorge - und äußert Kritik am System Schule: "Ich finde es sehr problematisch, schwierige Schüler:innen in das Regelsystem integrieren zu müssen, und das bei massiven Ressourcenkürzungen. Uns bleibt oft gar keine andere Wahl, als zu suspendieren, weil uns Unterstützungspersonal fehlt. Inklusion wird propagiert, aber das kann nur mit genügend Ressourcen gelingen!" 

Auftrag der Lehrer:innen ist Unterricht, nicht Sozialarbeit

Das System Schule spiegelt unsere Gesellschaft wider. Schulen leisten heute nicht nur Bildungsarbeit sondern immer mehr auch Sozialarbeit, und das überfordert Lehrer:innen, die nicht zu Sozialarbeiter:innen ausgebildet sind - sonst hätten sie diese Ausbildung gewählt. Nicht alle gesellschaftlichen Probleme können durch die Schule gelöst werden. Dazu braucht es "ein ganzes Dorf":  Lehrer:innen, multiprofessionelle Unterstützungsteams und Eltern.

Lehrkräfte sind nicht die amtlichen Mechanikerinnen und Mechaniker der Gesellschaft für die Kinder, die nicht (mehr) funktionieren. Das ist eine massive Verkennung ihrer eigentlichen Aufgaben.

(Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 5.2.2024)

​​​​​​​In Wien hat man Ende letzten Jahres auf die steigenden Suspendierungen mit einem Pflichtgespräch für Eltern reagiert (Wien schnürt Gewaltschutzpaket für Schulen​​​​​​​): Eltern suspendierter Schüler:innen werden von Schulsozialarbeiter:innen oder -psycholog:innen zu einem verpflichtenden Gespräch bestellt. Besprochen wird, wie das Kind wieder in die Klasse eingegliedert und letztendlich eine neuerliche Suspendierung vermieden werden kann. Wird das Gespräch abgelehnt, wird der Fall an die Kinder- und Jugendhilfe übergeben. "Denn hier endet die Kompetenz der Schule", betonte der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer.

Recht auf Bildung vs. Recht auf ungestörten Unterricht

Mit einer Suspendierung ist auch die vorübergehende Einschränkung des Rechts auf Bildung verbunden. Ein Eingriff in ein Grundrecht, das Bildung als Menschenrecht festschreibt. Es sollte daher genau geprüft werden, ob die notwendigen Voraussetzungen für eine Suspendierung auch tatsächlich vorliegen. Das Recht auf Bildung bzw. ungestörten Unterricht gilt aber auch für die Mitschüler:innen.

Das Thema Schulsuspendierungen erfordert von uns allen eine kritische Reflexion darüber, wie wir mit herausforderndem Verhalten umgehen und wie wir sicherstellen können, dass jeder Schüler/jede Schülerin die bestmögliche Chance auf Erfolg hat. Denn hinter jeder Verhaltensauffälligkeit steht ein Kind mit Träumen, Hoffnungen und individuellen Herausforderungen.

Wir werden uns dem Thema Schulsuspendierungen noch in weiteren Artikeln widmen, in denen wir besonders auf potentielle Lösungsansätze fokussieren werden.

Rundschreiben Nr. 76/2022 des BMBWF (Mitwirkung der Schule an der Erziehung §§ 47, 49 SchUG, § 8 Schulordnung Erziehungsmittel, Ordnungsmaßnahmen, Ausschluss, Suspendierung)

Die Suspendierung von Schülern löst ihre Probleme nicht​​​​​​​ (Lisa Nimmervoll, DERSTANDARD, 5.2.2024)

Instrumente schulrechtlicher Intervention​​​​​​​ (Martin Kremser, Erziehungsmittel, Suspendierung, Schulausschluss, S&R 1/2017,27)