Concept Cartoons für sensible Themen
Concept Cartoons geben Kindern Diskussionsanreize, machen unterschiedliche Perspektiven sichtbar und ermöglichen die Bearbeitung sensibler Themen. Das Buch "Concept Cartoons - Methodische Grundlagen und Umsetzung in der Familienforschung" gibt zahlreiche praxisorientierte Anwendungsbeispiele für das Arbeiten mit dieser innovativen Methode und veranschaulicht die Umsetzung am Beispiel der Themenbereiche Familien, Trennung und Scheidung.
Im Interview erklärt Autorin Univ.-Prof. Dr. Ulrike Zartler, warum die Methodik der „Concept Cartoons“ für sensible Themen so effektiv ist.
Was war die Basis für die Entwicklung für das Buch?
Das Buch basiert auf zwei partizipativen, familiensoziologischen Forschungsprojekten mit Kindern im Volksschulalter. In den beiden Projekten habe ich mit meinem Forschungsteam (Sabine Erben-Harter, Viktoria Parisot, Raphaela Kogler und Marlies Zuccato-Doutlik) insgesamt über 200 Stunden mit Kindern in drei verschiedenen Volksschulen in Wien und Tirol verbracht und mit ihnen zu den Themen Familien, Trennung und Scheidung geforscht. Ich hatte davor intensiv zu diesen Themen gearbeitet und suchte nach einer angemessenen Methode, wie wir mit Kindern über das sensible Thema elterliche Scheidung sprechen können. In der Familienforschung sind die Perspektiven von Kindern, die selbst eine Trennung oder Scheidung erlebt haben, relativ gut erforscht. Ich wollte aber die Perspektiven aller Kinder in die Forschung einbeziehen.
Meine Annahme ist, eigentlich sind alle Kinder vom Thema Scheidung betroffen, auch wenn nicht die eigenen Eltern sich scheiden lassen, sondern der Onkel, die Lehrerin, die Großeltern oder die Eltern der besten Freundin. Mich interessierte daher, wie Kinder generell, ganz unabhängig von ihrer eigenen Familiensituation, über diese Themen denken und welche Informationen sie dazu untereinander in ihren Peergroups austauschen. Grundsätzlich ist unser Buch dazu gedacht, die Perspektiven von Kindern abzubilden und sie damit besser zu verstehen und nachvollziehen zu können. Es ist für Pädagoginnen, Pädagogen und Eltern ebenso verwendbar wie für Praktikerinnen und Praktiker, die in Unterricht, Beratung oder im Rechtsbereich mit Kindern arbeiten.
Welche pädagogischen Ansätze werden in dem Buch verwendet, um Lehrkräfte bei der Bewältigung von schwierigen Familiensituationen zu unterstützen?
Concept Cartoons sind grafische Darstellungen, in denen die abgebildeten Kinder jeweils ihre Meinungen und Überlegungen zu einem bestimmten Thema artikulieren. Die Kinder diskutieren dann über die Aussagen dieser Concept Cartoon Charaktere, ohne etwas über sich selbst erzählen zu müssen.
Der Ausgangspunkt für alle Concept Cartoons, die wir im Buch vorstellen, sind die Lebenswelten der Kinder, mit denen wir gemeinsam geforscht haben. Ausgehend von ihren Sichtweisen haben wir zu jedem Concept Cartoon familiensoziologische Informationen für Erwachsene bereitgestellt, um Themen wie Scheidung, Gefühle rund um eine Trennung der Eltern oder Herausforderungen des Aufwachsens in einer Stieffamilie besprechen zu können oder in den Unterricht einzubetten.
Das Buch kann eine Grundlage sein, allen Kindern Informationen zu diesen Themen zu vermitteln und vor allem Diskussionen anzuregen. Dabei können Kinder ihre Perspektiven nicht nur diskutieren, sondern auch reflektieren.
Wie unterscheiden sich "Concept Cartoons" von anderen Lehrmaterialien in diesem Zusammenhang?
In unserem Buch legen wir den Schwerpunkt auf die Sicht der Kinder selbst. Das Buch gibt Einblicke, welche Familien und familialen Dynamiken es aus Kindersicht geben kann, welche Veränderungen Familien durchlaufen können, was das für Kinder bedeuten kann und in welcher Position Kinder in diesen Prozessen sind. Wir geben umfassende Informationen aus Kindersicht, kombiniert mit familiensoziologischen Erkenntnissen. Außerdem haben wir zahlreiche didaktische Möglichkeiten entwickelt, um die Kinder zum Thema hinzuführen. Dazu gibt es Informationen im Buch und auf der Projekt-Homepage.
Welche spezifischen Vorteile bieten "Concept Cartoons" im Vergleich zu anderen Methoden oder Materialien, um Kindern das Verständnis für komplexe Familienstrukturen zu erleichtern?
Concept Cartoons basieren auf einem konstruktivistischen Lernmodell. Das bedeutet, es geht darum, mit den Kindern gemeinsam zu erforschen, warum sie bestimmte Phänomene (wie Scheidung, Trennung und Familien) auf eine bestimmte Art und Weise sehen und erklären, was das bedeutet und wie man es vielleicht noch sehen könnte. Es entsteht für die Kinder nebenher auch die Möglichkeit, respektvoll diskutieren und argumentieren zu lernen.
Es geht also nicht darum, richtige oder falsche Antworten zu eruieren oder zu erarbeiten. Concept Cartoons bieten im Idealfall die Grundlage für einen Rahmen, in dem die Kinder sich in ihrer Umwelt aktiv gestaltend wahrnehmen können und sich gehört und ernst genommen fühlen.
Können Sie einige Beispiele nennen, wie das Buch in der Praxis angewendet werden kann?
Concept Cartoons können zu unterschiedlichen Themenbereichen entwickelt werden und sind sehr gut als Diskussionsgrundlage geeignet. In unseren Projekten haben wir mit den Kindern einige grundlegende Diskussionsregeln abgesteckt, die von den Kindern anschließend auch immer wieder eingefordert wurden. Eine Diskussion hat in unseren Projekten etwa 40-50 Minuten gedauert, oft sind in dieser Zeit auch mehrere Concept Cartoons hintereinander diskutiert worden. Vor und auch zwischen den einzelnen Diskussionen haben wir mit den Kindern Spiele, Geschichten, Bastel- und Zeichenarbeiten zur Auf- und Vorbereitung der Themen gemacht, die wir in das Buch integriert haben.
Gibt es bestimmte Empfehlungen oder bewährte Praktiken für Fachkräfte oder Lehrkräfte, die das Buch in der Arbeit mit Kindern im Zusammenhang mit Familienthemen verwenden möchten?
Wichtig ist es, die Kinder gut auf das Thema vorzubereiten. Dazu finden sich zahlreiche Vorschläge und Ideen im Buch. Ein weiterer Aspekt ist es, Gesprächsregeln für die Concept Cartoon Diskussionen zu vereinbaren. Vorteilhaft ist auch, wenn eine Person, die die Kinder kennt und einschätzen kann, den Lernprozess begleitet. Die Concept Cartoons können dann in Kleingruppen oder auch im Klassenplenum besprochen und diskutiert werden. Hier ist es sinnvoll, den Kindern zu verdeutlichen, dass es nicht um eine Wissensabfrage geht, sondern um ihre Gedanken und Meinungen, die ernst genommen werden.
Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie, dass das Buch auf die Lehrpraxis von Lehrerinnen und Lehrer hat und wie kann es zur kontinuierlichen Weiterentwicklung der pädagogischen Ansätze beitragen?
Hier sehe ich zwei wichtige Tendenzen: Einerseits ist es sicherlich wichtig und hilfreich, Themen wie Familien, Scheidung und Trennung in der Schule – wo wir leicht alle Kinder erreichen können – noch stärker aufzugreifen. Dazu leistet unser Buch einen Beitrag. Es zeigt, wie der Raum für diese Themen geöffnet werden kann, um Kindern die Möglichkeit zu bieten, ihre Fragen und Anliegen einzubringen. Andererseits kann das Buch ein weiterer Anstoß für kreative Ideen der Lehr- und Lernkultur sein und damit Kinder in ihren Fähigkeiten stärken, analytisch und kritisch zu denken und ihre Überlegungen anderen respektvoll zu kommunizieren.