Die digitale Bildung von morgen - zwischen Schulbuch und Suchmaschine
Elisabeth Rosemann gab zu Beginn Einblicke in den CoderDojo. Diesen könne man sich wie einen Programmierclub vorstellen, der darauf abzielt, dass Kinder neugierig und ohne Vorbehalte an neue Dinge herangehen, in kürzester Zeit positive Erlebnisse sammeln und ihre eigenen Ideen umsetzen können. Die Rolle der Mentorinnen und Mentoren dabei sei es, den Kindern zu zeigen, was sie machen können und gemeinsame Lösungen für Probleme zu finden. Dieser kindlich-neugierige Zugang zur Technik fehle den Erwachsenen aus ihrer Sicht.
Die Digitalisierung wirke auf viele Menschen erdrückend und erzeuge das Gefühl, dieser passiv ausgesetzt zu sein. Sich selbst als aktiven Teil darin zu begreifen und eine gestalterische Sicht darauf einzunehmen, wäre für Fares Kayali wichtig. Das Thema Digitalisierung und die oft damit verbundene Messung von Wissenszuwächsen (wer muss was erlernen) übe einen starken Zwang aus, den wir loslassen müssen. Aus seiner Sicht wäre es wichtig, auf spielerische und freiere Formen des Lernens zu setzen und zuzulassen, Fehler zu machen. Schulische Bildung sei zu stark gerastert und mache es schwierig, Zeit für längere Projekte zu haben. "Auf der einen Seite gibt es ein selbstbestimmtes Lernen - auf der anderen ein System, das auf Leistung programmiert ist und Raum zum Scheitern nicht beinhaltet - das passt nicht zusammen, da braucht es eine neue Struktur im Bildungssystem, so Kayali.
In der Diskussion stellte man sich auch die Frage, ob Grundkenntnisse im Coding zur Allgemeinbildung für unsere Kinder gehören sollte. Hier war man sich einig, dass ein gewisses Grundverständnis wichtig sei, welches den Kindern ermöglicht, selbst zu gestalten. Die Frage solle sich jedoch nicht rein auf das Progammieren beschränken.
Wie sieht das Lernen von morgen aus, wenn jede/r alles Wissen sowieso in der Hosentasche hat?
Elisabeth Rosemann ist davon überzeugt, dass es trotz jederzeit zugänglichem Wissen ein Grundwissen als Basis braucht, ohne dem keine Diskussion zustande käme. Kayali fände es wichtig, von der reinen Wissensreproduktion weg zu gehen.
Einig war man sich darüber, dass sich unsere Aufmerksamkeitsspannen massiv verändert haben und dies auch einfach ein Merkmal der Zeit ist, dem sich Bildung anpassen muss. "Wir müssen akzeptieren, dass unsere Zeit schneller geworden ist und Kurzformate im Kommen sind", so Fares Kayali.
Auch das Thema Computerspiele fand seinen Platz und wurde mehrfach vom Publikum aufgeworfen - demnach kam die Befürchtung auf, dass Kinder durch Computerspiele ein verarmtes soziales Verhalten entwickeln würden, beispielsweise ständig gewinnen zu wollen etc. Eine kritische Sicht auf Computerspiele, vor allem auf kostenlose Handyspielangebote wäre nach Kayali essentiell - ebenso die Aufklärung darüber, auf was sich junge Spielerinnen und Spieler einlassen und wie Abhängigkeitsmechanismen funktionieren. So könne man sehr wohl mit PC-Spielen konstruktiv arbeiten und gleichzeitig einen kritischen Blick darauf werfen.
Elisabeth Rosemann ist davon überzeugt, dass es einen Unterschied mache, ob Kinder Computerspiele nur konsumieren oder aktiv z.B. an einem PC-Spiel arbeiten. Gernot Hörmann stellte die Frage, ob das enorme Suchtpotential von Computerspielen (das beispielsweise oft dadurch verursacht wird, weil Spielstände nicht mehr abgespeichert werden können oder immer neue Belohnungen zum Auspacken locken) dafür genutzt werden könnte, Lernspiele mit Suchtpotential zu entwickeln. Hier müsse man sich ethischen Fragen stellen, denn "Belohnungsschemata bei Lernspielen einzubauen ist eine ethische Frage", so Kayali.
Auf die Frage, welche Kompetenzen junge Menschen brauchen, um in der Welt der Zukunft bestehen zu können, nannte Kayali die "transformative skills", also jene Kompetenzen, sich in einer veränderten Welt bewegen zu können. Die digitale Grundbildung und dessen Implementierung im Unterricht mit viel Autonomie sei ein wichtiger Schritt gewesen, den man auch für andere Fächer umsetzen könne. Digitale Bildung dürfe nicht nur über das Digitale begriffen werden sondern im Gesamtpaket, ebenso seien Querschnittsmaterien wichtig.
Was die Bildungswelt von morgen besser machen würde, wäre nach Fares Kayalis Ansicht ein Bild von Schule, in der Kinder ohne Notenzwang begeistert erzählen, was sie Spannendes erlebt und ausprobiert haben. Elisabeth Rosemann wünscht sich eine Schule, die auf die Vertiefung der Stärken von Kinder mehr achtet als darauf, Schwächen auszumerzen.
Abschließend kam Christoph Kremer (Museumsleiter Ars Electronica Center) zu Wort, der das Thema des heurigen Ars Electronica Festivals 2021 - "the new digital deal" - noch einmal in den Vordergrund rückte. Auf eine Wortmeldung vom Publikum, wie man "digital humanism" in die Bildung einfließen lassen könne, weil digitale Fokussierung rein auf die MINT-Fächer zu wenig sei und es auch die Geisteswissenschaften brauche, betonte Kremer, dass es wichtig sei, alle auf die Reise der Zukunft mitzunehmen - Eltern genauso wie Kinder, Pädagoginnen und Pädagogen mit und ohne digitale Affinität. Es brauche ein gemeinsames "versöhnliches" System, eine gemeinsame Formung der Gesellschaft. "Alle sollen sich verstanden fühlen und mitgenommen werden. Das muss der "new digital deal" sein, so Kremer.
Hier können Sie die Diskussion als On-Demand-Video nachsehen.
Elisabeth Rosemann widmet sich seit fünfzehn Jahren der Entwicklung von Software in verschiedenen Branchen, aktuell mit dem Schwerpunkt auf Datenverarbeitung im Maschinenbau. Sie hat Software Engineering an der FH OÖ, Campus Hagenberg, sowie Statistik an der JKU Linz studiert und engagiert sich seit fünf Jahren als Mentorin beim CoderDojo in Linz, einem Programmierclub für Kinder zwischen 7 und 17 Jahren.
Fares Kayali ist Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich und Gründer des Computational Empowerment Lab am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien. Seine Forschung und Lehre findet im interdisziplinären Spannungsfeld zwischen Informatik, Didaktik und Gesellschaft statt und wurde mehrfach vom FWF gefördert. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit Nutzer/innen-zentriertem Design, kritischen Aspekten des digitalen Wandels und digitalen Spielen. Im Kontext der Digitalisierung ist ihm eine Menschen-zentrierte und konstruktiv-kritische Perspektive wichtig. Aus dieser heraus soll es möglichst allen Menschen möglich sein, an digitaler Technologie und den damit verbundenen gesellschaftlichen, kulturellen und technologischen Diskursen teilzuhaben.