Nachlese zur Live-Sendung: Schule in der Krise - Was Corona mit der Bildung macht
Seit mehr als einem Jahr herrscht an Österreichs Schulen Ausnahmezustand. Ob Homeschooling und Distance-Learning oder Maskenpflicht und Selbsttests - zahlreiche und ständig geänderte Beschränkungen des Unterrichts bringen SchülerInnen aber auch deren Eltern und Lehrkräfte unter Druck. Unterricht per Skype und E-Mail zeigt das Fehlen einer Digitalisierungsstrategie an den Schulen auf. Soziale Ungleichheiten im Bildungsbereich werden durch die Corona-Krise offenbar verstärkt. Für KritikerInnen ist klar: COVID-19 sei nicht das Problem für die Schulen. Das Virus bringe seit Langem bestehende Probleme bloß ans Tageslicht. Ist Österreichs Bildungssystem in der Corona-Krise oder grundsätzlich in einer Bildungskrise? Darüber wurde am 19. April 2021 in der Internet -TV-Sendung (aus dem Dachfoyer der Wiener Hofburg) unter der Leitung von Gerald Groß diskutiert.
Es diskutierten: Rudolf Taschner (ÖVP), Eva-Maria Holzleitner (SPÖ), Hermann Brückl (FPÖ), Sibylle Hamann (Grüne), Martina Künsberg Sarre (NEOS)
Expertinnen: Alexandra Bosek (Bundesschulsprecherin), Christiane Spiel (Bildungspsychologin, Universität Wien)
Die Schule als sozialer Ort muss wiederhergestellt werden!
Schule hat auch abseits der Vermittlung von Lerninhalten eine große Bedeutung. Das unterstrich die Bildungssprecherin der Grünen, Sibylle Hamann, denn wesentliche Dinge könnten durch Technologie nicht ersetzt werden. Sie fordert, dass die Kinder und Jugendlichen sobald als möglich zurück in die Schulen müssen, damit das "Beziehungsnetz" wieder geknüpft werden kann.
Auch FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl ist davon überzeugt, dass die Schulschließungen das größte Problem waren. Die Kinder waren psychisch und sozial enorm belastet aufgrund des Defizits an sozialen Kontakten, Bildungs- und Lernrückständen sowie der fehlenden Motivation.
Abgeordneter Rudolf Taschner (Bildungssprecher ÖVP) zieht bezüglich Schulschließungen einen internationalen Vergleich und stellt Österreich ein gutes Zeugnis aus, da es wesentliche Schritte gesetzt habe, um die Schulen möglichst lange offen zu halten: Dazu zählen z.B. eine durchdachte Teststrategie, das Tragen von Masken und ein Schichtbetrieb.
Schule muss mit mehr Wissen aus der Gesellschaft angereichert werden!
Bildungspsychologin Christiane Spiel betonte, dass es einen viel stärkeren Fokus auf fachübergreifende Kompetenzen brauche. Die SchülerInnen sollen sich zukünftig nicht nur Fachwissen aneignen, sondern auch soziale Fähigkeiten: "Wir wollen junge Menschen haben, die mutig sind, Selbstvertrauen haben, solidarisch sind, die mit Veränderungen umgehen können". SchülerInnen müssten Probleme aktiv aufgreifen und mit ihnen umgehen können. "Da ist einiges zu tun", die Schule müsse mit mehr Wissen aus der Gesellschaft angereichert werden, "wir müssen Bildung und Schule als gesellschaftliche Aufgabe sehen", so Spiel.
Die Bildungssprecherin der NEOS, Martina Künsberg Sarre, forderte einen Paradigmenwechsel im Denken. Die Veränderung, die jetzt vor der Tür stehe, müsse auch zugelassen werden.
Wir haben viel an Reife gewonnen!
Einig darüber war man sich, dass die Krise auch positive Aspekte und neue Perspektiven hervorbringt. Zum einen die viel zitierte "Selbstorganisation des Lernens", die SchülerInnen gelernt haben. Im Vergleich zum ersten Lockdown, wo dies hauptsächlich Überforderung darstellte, zählten die SchülerInnen später diese Fähigkeit zu den positiven Aspekten, berichtete Spiel.
Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek stimmte dem zu: "Die Jugendlichen haben viel gelernt und viel an Reife gewonnen". Eigenverantwortung und Selbstorganisation zählen zu den Fähigkeiten, die jeder Mensch sein ganzes Leben lang brauchen könne. "Wir sind keine verlorene Generation sondern eine Generation, die es in Zukunft braucht".
Medienkompetenz ist unabdingbar!
Es ist einiges möglich", so Abgeordneter Taschner im Hinblick auf die Schule der Zukunft. Dabei spiele die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Diese sei kein "Zaubermittel", jedoch ein weiteres Hilfsmittel, das hinzukomme und naturgemäß Vor- und Nachteile mit sich bringe. "Digitalisierung bedeutet nicht, jedem Kind einen Computer zu geben", so der FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl, es brauche auch eine entsprechende Infrastruktur sowie LehrerInnen, die damit umgehen und SchülerInnen, die diese Inhalte aufnehmen können. Was Digitalisierung nicht könne, ist Werteerziehung und die Vermittlung von sozialem Verhalten. Wenn auch Digitalisierung kein allumfassendes Rezept sei, ist sie aber dennoch ein wichtiger Schritt in die Zukunft.
Wenn es in den Schulen Tablets und Laptops gibt, brauche es ganz dringend die Vermittlung von Medienkompetenz, so die SPÖ-Jugendsprecherin Eva Maria Holzleitner. Junge Menschen seien sehr viel im Internet unterwegs, es müsse klar sein, wie man mit Mobbing, Hassnachrichten und Fake News umgeht. "Medienkompetenz ist in der Zukunft unabdingbar wichtig", betonte Holzleitner.
Die Pandemie sollte für Jugendliche nicht zur "Infodemie" werden, Quellen müssten kritisch hinterfragt und mit digitalen Inhalten richtig umgegangen werden können, deshalb müsse Medienkunde ein Bestandteil der Lehrpläne sein, betonte auch Bundesschulsprecherin Bosek, die in ihrem letzten Schuljahr einen Schwerpunkt auf Medienkunde gesetzt hat.
Das gesamte schriftliche Protokoll der Sendung ist hier abrufbar.