Expertenwissen
Bildung für die Welt der Künstlichen Intelligenz
Die Zukunft hat schon begonnen
Dass Computer intelligent sein können, wird manchmal bezweifelt, aber die Realität zeigt doch bereits Erstaunliches (Schachl. 2022)! Und es geht sehr rasch: Ab Mitte des Jahrhunderts liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent, bis 2100 bei 90%, dass wir eine KI mit menschlichem Niveau erreicht haben, meint Damberger 2019, S. 60). Die Beschleunigungsrate des technischen Fortschritts ist jedenfalls enorm: „In zehn Jahren werden wir die Gehirn-Kapazität eines Menschen in jedem Smartphone mit uns herumtragen. Künstliche Intelligenz wird dann mehr Einfluss auf die Menschheit haben als die Erfindung des Computers“ (Hochreiter, zitiert nach Hengstschläger et al., 2017).
Ob das tatsächlich und wenn ja, bereits 2027 der Fall sein wird, darf angesichts der Komplexität des Gehirns bezweifelt werden. Aber auch die Gehirnforschung macht faszinierende, zum Teil auch besorgniserregende Fortschritte. Nur ein einziges Beispiel: Lancaster et al. (2013) gelang es, mit Stammzellen die frühen Stadien der menschlichen Hirnentwicklung in der Petrischale nachzubauen. Diese „Human organoids“ sind auch für das Künstliche Intelligenz-Thema von Bedeutung, weil die Kombination von Natur und Chip bereits intensiv erforscht wird und auch in die Robotik Eingang gefunden hat.
Ist das Ziel der optimierte Mensch, der Übermensch als Homo Deus, der aus der „Kooperation“ der KI mit den Biotechnologien entstehen wird, wie Harari (2017) meint? Auch wenn derartige Vorstellungen doch zu weit gehen, ist doch klar: Die Ergebnisse der Hirnforschung, Genetik, anderer naturwissenschaftlicher Disziplinen und der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz werden unser gesamtes Leben verändern bzw. verändern es permanent. An herausfordernden „Zukunftsszenarien“ fehlt es also nicht, und es gibt ja auch noch andere Themen wie Klima, Energie, Migration, kriegerische Konflikte usw.
Androiden, wirklich fast menschlich?
Im Bereich der KI macht vor allem der Blick auf die Roboter nachdenklich. Der Robotermarkt explodiert förmlich: Angeblich gab es 2020 bereits mehr als zehn Millionen Roboter auf der Erde (Precht (2020, S. 18). Viele Anwendungen sind durchaus nützlich (Schachl, 2022). Die Nachdenklichkeit bezieht sich auf die Fragen, ob Roboter Emotionen und Bewusstsein haben und uns hinsichtlich ihrer Intelligenz überflügeln oder gar beherrschen werden. Die Ähnlichkeit mit uns Menschen wird immer mehr, zu sehen bei den sogenannten Androiden: Große Berühmtheit erlangte die Androidin Sophia! Diese sehr menschenähnliche Roboter-Frau (geschaffen von Hanson in Hongkong) bekam anlässlich ihrer Performance bei einer internationalen Konferenz am 25. Oktober 2015 in Riad die saudi-arabische Staatsbürgerschaft verliehen. Sie ist ausgestattet mit einer Feinmechanik, die 62 Gesichtsausdrücke darstellen kann, hat Programme zur Emotionserkennung und Sprachverarbeitung etc., und kann aus den Reaktionen ihrer Gesprächspartner lernen, scheint auch Gefühle zu zeigen! Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe solcher Androiden (ein Blick ins Youtube sei empfohlen, z. B. Interview With The Lifelike Hot Robot Named Sophia).
Muss die Schule digitaler werden?
Der Geist der KI ist aus der Flasche. Jetzt gilt es, das Richtige zu tun! Und: „Das eigentliche Problem der Roboter ist nicht ihre künstliche Intelligenz, sondern vielmehr die natürliche Dummheit und Grausamkeit ihrer menschlichen Herren“ (Harari, 2020, S. 115).
Was ist das Richtige, das wir tun müssen? Wer bereitet unsere Kinder und Jugendlichen auf diese dramatischen Veränderungen vor? Und wie? Was brauchen wir, um in dieser herausfordernden Welt bestehen und uns auch positiv weiterentwickeln zu können? Was ist eine „Sinn-volle Bildung für die Welt von morgen“ (Schachl, 2022)?
Die Politik meint, die Schule müsse digitaler werden, und investiert in den Kauf von Laptops für die Schülerinnen und Schüler. Derartige Hilfen haben selbstverständlich auch positive Seiten: Sie schaffen besonders für Kinder aus nicht so begüterten Familien einen gleichwertigen Zugang zur digitalen Welt und sie sind für alle Kinder wichtig, um das digitale „Handwerkszeug“ zu lernen! Das heißt, der Einbau digitaler Werkzeuge (Hard- und Software) in die Bildungsprozesse ist durchaus notwendig, aber er muss alters- und entwicklungsgemäß erfolgen! Und die Gefahren und Risiken sind zu beachten!
Das viel wichtigere Ziel ist es jedoch, die Fähigkeiten zu verbessern, die auch noch tragfähig sind, wenn es bereits die nächste und übernächste Generation von Geräten und Programmen gibt, und die sinnvoll sind für eine Welt, die wir noch gar nicht kennen.
Schulen müssen also nicht in erster Linie digitaler werden, sondern ganz allgemeine Fähigkeiten aufbauen und fördern, die eigentlich auch schon vor der digitalen Zeit wichtig waren und die dann auch für die Bewältigung der zukünftigen digitalen und anderen Herausforderungen bedeutsam und notwendig sind: Effizientes (gehirngerechtes) Lernen, Problemlösen, Kreativität, psychische Resilienz, soziale Fähigkeiten und ganz besonders das tragende Fundament der gelebten Werte mit einer stabilen Sinnorientierung für ein friedliches Zusammenleben in einer nachhaltig umsorgten Umwelt.
Die Pädagoginnen und Pädagogen müssen sich dazu mit der Biologie des lernenden Gehirns als Basis für Aufmerksamkeit, Gefühle, Speicherung, Abruf und mit den praktischen Konsequenzen befassen. Auch das „kreative Gehirn“ muss im Fokus stehen, ebenfalls mit wichtigen Konsequenzen zur Förderung von Kreativität und Problemlöse-Fähigkeiten, auch mit digitalen Medien.
Um die Kinder resilient (stark) zu machen, muss man sich ausführlich mit der Reduzierung von Angst und Stress, aber auch mit den Möglichkeiten der Stressbewältigung beschäftigen (Schachl, 2022, S. 261-279).
Bildung für die Zukunft - eine Kurzformel
Eine „Kurzformel“ für die Bildung, die auch noch in der Zeit der KI gilt, sei mit einem alten, sehr bekannten Zitat von Wilhelm Busch (im vierten Streich von Max und Moritz), leicht abgewandelt, zum Ausdruck gebracht:
Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss.
Nicht allein das ABC
bringt den Menschen in die Höh‘;
nicht allein im Schreiben, Lesen
übt sich ein vernünftig Wesen;
nicht allein in Rechnungssachen
und digitalen Kompetenzen
soll der Mensch sich Mühe machen,
sondern auch der Weisheit Lehren
muss man mit Vergnügen hören.
Bildung für die Zukunft bedeutet selbstverständlich auch Vorbereitung auf die digitalen Herausforderungen und den Erwerb digitaler Kompetenzen!
Aber Bildung bedeutet wesentlich mehr: Kreativität, Fähigkeit zum Problemlösen, zum Lernen auf der Basis der Funktionsweise unseres Gehirns, musisch-ästhetisches Erleben, Resilienz und vor allem Werterziehung mit einer stabilen Sinn-Orientierung! Nur mit einer umfassenden Bildung, „Weisheit“ in diesem Sinne, werden die Kinder und Jugendlichen auf das Leben vorbereitet, einem Leben, das „Muss“ beinhaltet, aber auch Vergnügen bzw. Freude!
Über unseren Gastautor Dr. Hans Schachl
Hauptschullehrer, Doktorat in Psychologie, Prof. an der PA/PH Linz, 23 Jahre in der Leitung (1989-1999 Abteilungsvorstand, 1999-2006 Direktor, 2006-2012 Rektor). Umfangreiche Tätigkeit in Fort- und Weiterbildung. Gastvorträge/Lehraufträge zu „The Learning Brain“ und anderen Themen an 15 internationalen Universitäten. Ehrensenator einer Hochschule in Riga. Full Professor der Central Universidad Nicaragua.
Literatur:
Busch, W. (1865). Max und Moritz. Eine Bubengeschichte. Braun und Schneider.
Damberger, T. (2019, 2. und 9. März). Lehren und Lernen im Digitalen Zeitalter. [Vortrag]. ORF Focus Vorarlberg.
https://files.orf.at/vietnam2/files/vbg/201927/studioheft_58_2019_master_online_684984.pdf, 56-83.
Harari, Y. N. (2017). Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. Beck.
Harari, Y. N. (2020). 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. (6. Auflage). Beck.
Hengstschläger, M., Mara, M., & Hochreiter, S. (2017, 23. August). Trust me, I’m a Robot. Academia Superior.
Lancaster, M., Renner, M., Martin, C.-A., Wenzel, D., Bicknell, L. S., Hurles, M. E., Homfray, T., Penninger, J. M., Jackson, A. P., & Knoblich, J. A. (2013). Cerebral organoids model human brain development and microcephaly. Nature, 501(7467), 373-379.
Precht, R. D. (2020). Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens. Goldmann.
Schachl, H. (2022). Kinder & Künstliche Intelligenz. Sinn-volle Bildung für die Welt von morgen. Trauner.