Wunderwuzzis und unleserlich verfasste Lehrpläne

Selten heftige Kritik kommt von den Lehrervertretern: Sie bemängeln die neuen Lehrpläne für die Volks- und Mittelschule bzw. AHS-Unterstufe. Diese seien teils "unleserlich verfasst" und in der Praxis nicht umsetzbar, heißt es in der Stellungnahme der Pflichtschullehrergewerkschaft zu den Entwürfen. Dafür würde es rund 125.000 "Wunderwuzzis" brauchen. Ähnlich äußerten sich auch die AHS-Lehrer. Die Begutachtungsfrist ist bis Montag gelaufen. 

Lehrerin mit Schülern in Klasse

Zentraler Kritikpunkt betrifft mangelnden Praxisbezug

An den neuen Lehrplänen für alle Fächer der Volks- und Mittelschule sowie AHS-Unterstufe wird seit 2018 gearbeitet. Sie sollen ab dem Schuljahr 2023/24 gelten. Technisch gesehen sind sie Verordnungen, die vom jeweiligen Bidungsminister erlassen werden. Die Pflichtschullehrer vermissen vor allem den Praxisbezug: Sie bemängeln, dass angeblich pro Unterrichtsfach mindestens zehn Fachpraktikerinnen und -praktiker an den Inhalten mitgearbeitet haben sollen, doch offensichtlich seien diese Expertise bei der Lehrplanerstellung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das würde man nicht nur sehr bedauern, sondern werde auch negative Auswirkungen auf die praktische Verwendbarkeit im Unterricht haben, so die Kritik.

Fachliche Kompetenzen geheimnisvoll

In sämtlichen Lehrplänen wird zwischen fachlichen, überfachlichen und fächerübergreifenden Kompetenzen unterschieden. Nach Ansicht der Gewerkschaft sind dabei die fachlichen Kompetenzen "unleserlich verfasst" und drohten dadurch zu einem "bestgehüteten Geheimnis" zu werden. Die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen wie Motivation, Selbstwahrnehmung und Vertrauen in die eigene Person bzw. soziale und lernmethodische Kompetenzen wiederum erscheine in den derzeit oft großen Klassen mit Kindern verschiedener Nationalitäten bzw. mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen "schier unmöglich".

Vorschläge schwer umsetzbar

"Schwer umsetzbar" erscheint den Pädagogen auch die Implementierung von 13 fächerübergreifenden Themen in den Unterricht. Diese reichen von Entrepreneurship Education über informatische und interkulturelle Bildung über Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung bzw. Sexualpädagogik bis zu Verkehrsbildung und Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung.

Praxisferne Formulierungen

Ganz generell fragen sich die Pflichtschul-Lehrervertreter nach dem Praxisbezug mancher Formulierungen im Lehrplan: Dort heißt es etwa zu den allgemeinen didaktischen Grundsätzen: "Lehrerinnen und Lehrer verstehen es als ihre Aufgabe, Schülerinnen und Schüler individuell wahrzunehmen und zu fördern und vermeiden stereotype Zu- und Festschreibungen. Lehrerinnen und Lehrer kennen und nutzen geeignete pädagogische Diagnoseinstrumente, um die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler festzustellen und deren Lernprozesse entsprechend begleiten zu können. Sie fördern individuelle Lernprozesse durch unterschiedliche und abwechslungsreiche Lernsettings und verwenden dazu passende Lernmaterialien. Sie geben individuelle, lernförderliche Rückmeldungen und ermöglichen den Schülerinnen und Schülern, ihren Kompetenzzuwachs bewusst wahrzunehmen."

Fachpraktiker ohne Praxisbezug?

"Und das in einer Klasse mit 25 bis zu 29 Schülerinnen und Schülern!", schreiben die Gewerkschafter. Den am Lehrplan beteiligten Fachpraktikern dürfte hier der Praxisbezug abhanden gekommen sein, vermuten sie - "oder man geht generell davon aus, dass ca. 125.000 'Wunderwuzzis' ihren Dienst an Österreichs Schulen versehen".

Ähnliche Argumente aus der AHS-Lehrergewerkschaft

Die AHS-Lehrergewerkschaft argumentiert ähnlich: "Die Gliederung in fachliche, überfachliche und fächerübergreifende Kompetenzen, die Textfülle und die große Zahl an fächerübergreifenden Themen machen den Lehrplan schwer lesbar. Viele der angestrebten Ziele scheinen uns schwer umsetzbar bzw. praxisfern."

Kein Inkrafttreten im nächsten Schuljahr

Abgelehnt wird von den AHS-Lehrern das geplante In-Kraft-Treten mit dem Schuljahr: Es sei "unmöglich ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt approbierte Schulbücher vorliegen, die die Lehrplanänderungen berücksichtigen". Keinesfalls dürften die neuen Lehrpläne zu Mehrarbeit führen - genau das ergebe sich aber aufgrund der Vorgaben im Entwurf.

 

Quelle: APA Science