Classroom-Management: Bevor kleine Konflikte groß werden
Kurzfristig reagieren: Disziplinmanagement
Frau Fuchs könnte so tun, als hätte sie von all dem nichts gesehen. Das wäre aber wenig günstig. Warum? Weil bei den Schülerinnen und Schülern sofort der Eindruck entstünde, dass Frau Fuchs der Vorfall gleichgültig sei. Noch schlimmer wäre, sie würden ihr Verhalten als Schwäche auslegen.
Frau Fuchs könnte auch sofort sagen: „Hallo, (Frau Fuchs kennt die Namen der Schülerinnen und Schüler noch nicht, denn es ist ja erst die erste Unterrichtsstunde) was hab ich da gesehen – das kommt aber nicht mehr vor“. Eine wenig günstige Reaktion. Guido wird nach 5 Minuten die Ermahnung vergessen haben. Und welcher Schüler, welche Schülerin soll sich mit „Hallo“ angesprochen fühlen?
Sie sagt stattdessen: „Guido, (sie hat die Namen ihrer Schülerinnen und Schüler vor der ersten Stunde gelernt) - ich möchte dich nach dem Unterricht sprechen“. Und zwar so laut, dass gerade diejenigen Schülerinnen und Schüler, die Zeugen dieses Vorfalls wurden, das auch hören. Die anderen Schülerinnen und Schüler, die das nicht bekommen haben, müssen nicht hören, was sie sagt. Damit signalisiert sie Guido und seinen Mitschülerinnen und Mitschülern: „Ich bin nicht gewillt, diesen Vorfall hinzunehmen. Aber ich will ihn auch nicht unnötig an die große Glocke hängen“.
Langfristige Strategie entwerfen: Classroom-Management
Aber wie könnte eine Classroom-Management-Strategie in diesem Fall aussehen? Eine Strategie, die das Problem präventiv angeht? So, dass es gar nicht mehr zu solchen Vorfällen kommt?
Das folgende Beispiel ist absichtlich sehr detailliert beschrieben, um einige zentrale Merkmale von Classroom-Management deutlich zu machen.
Frau Fuchs entscheidet sich noch am ersten Schultag dafür, den Ablauf „das Klassenzimmer ordentlich betreten“ einzuüben. Er besteht aus folgenden Teilen:
- Die Schülerinnen und Schüler stellen sich vor Unterrichtsbeginn vor dem Klassenzimmer auf.
- Jeder betritt der Reihe nach das Klassenzimmer. Frau Fuchs, die bereits vor dem Klassenzimmer auf ihre Schülerinnen und Schüler wartet, begrüßt jeden per Handschlag und mit Namen: „Guten Morgen, Luigi“.
- Sie hat Namensschilder auf den Tischen der Schülerinnen und Schüler angebracht. Sie erklärt jedem Schüler und jeder Schülerin den Sitzplatz. „Schau Luigi – da ist dein Platz“. Sie zeigt hin.
- Sie hat auf jedem Tisch der Schülerinnen und Schüler bereits ein Blatt mit einer kleinen und einfachen Aufgabe vorbereitet, z.B. bei ihren Viertklässlern, „Male bitte ein Bild von deinem Lieblingstier“. Sie schaut Luigi an und sagt: „Auf deinem Tisch liegt ein Blatt. Setze dich bitte gleich an deinen Tisch und bearbeite es. Danke“
Konkret geht sie so vor...
Schritt 1: Sie kommuniziert ihren Schülerinnen und Schülern ihre Erwartungen
„Ihr wartet bitte vor dem Klassenzimmer. Dann begrüße ich euch der Reihe nach und ihr dürft eintreten. Dabei verhaltet ihr euch bitte ruhig. Dann geht ihr direkt an euren Platz. Dort bearbeitet ihr bitte gleich das Übungsblatt.“
An der Tafel notiert sie:
- Vor dem Klassenzimmer ruhig warten
- Ordentlich eintreten
- Sofort zum Platz
- Übungsblatt bearbeiten
Schließlich führt sie noch ein „Stopp-Signal“ ein, in diesem Fall eine Art rote Karte. „Wir üben das jetzt. Wenn es dabei laut wird, zeige ich das „Stopp-Signal“. Dann geht ihr bitte sofort zurück in die Klasse und setzt euch an euren Platz.“
Schritt 2: Sie überprüft, ob ihre Schülerinnen und Schüler das verstanden haben.
Sie bittet deshalb einige Schülerinnen und Schüler, den Ablauf nochmals im Detail zu erklären. Natürlich auch einen derjenigen mit geringen Deutschkenntnissen. Denn jeder muss ihre Anweisung exakt verstanden haben – sonst kann er sie nicht erfüllen.
Schritt 3: Sie übt es sofort ein.
Kaum draußen angekommen, sind einige Schülerinnen und Schüler laut und lachen. Statt diese Schülerinnen und Schüler zu ermahnen, zeigt sie, ohne zu sprechen, einfach nur das „Stopp-Signal“. Die Schülerinnen und Schüler gehen verwundert zurück an ihren Platz.
Schritt 4: Frau Fuchs reagiert wie folgt:
- Sie wartet, ohne ein Wort zu sagen, bis alle an ihrem Platz sind und es in der Klasse ruhig ist.
- Dann sagt sie nur: „Wir üben es noch einmal“. Und kein Wort mehr. Vor allem keine Kritik oder negativen Bemerkungen.
- Dann erklärt sie noch einmal alle Details des Ablaufs.
- Dann bittet sie wieder einen Schüler oder eine Schülerin, alles zu wiederholen.
Schritt 5: Sie lässt wieder üben:
Kaum sind die Schülerinnen und Schüler vor dem Klassenzimmer, wird es wieder laut. Ohne ein Wort zu sagen zeigt Frau Fuchs wieder ungerührt das „Stopp-Signal“. Die Schülerinnen und Schüler reagieren ungläubig. Natürlich enthält sich Frau Fuchs auch jetzt unnötiger Kommentare wie, „Ich hab es euch jetzt schon zweimal erklärt und ihr könnt es immer noch nicht,“ oder, „Was seid ihr nur für eine Klasse“. Damit würde sie ihre eigenen Bemühungen selbst torpedieren, weil sie ihre Schülerinnen und Schüler gegen sich aufbringt. Die Schülerinnen und Schüler würden in der Folge weniger kooperieren.
Tipp: Autorität strahlt der Lehrer bzw. die Lehrerin durch souveränes Handeln aus – nicht durch viel reden.
Die Zutaten des Erfolgs
Es werden noch ein oder zwei Versuche nötig sein, bis sich die Schülerinnen und Schüler korrekt verhalten. Frau Fuchs hat sich darauf mental vorbereitet. Was auch geschehen mag, sie wird „cool“ bleiben. Und sie übt so lange, bis alle Schüler ihre Vorgaben exakt einhalten.
Warum das? Wenn sich der Lehrer bzw. die Lehrerin mit weniger zufrieden gibt, lernen seine Schülerinnen und Schüler, „der meint es nicht so ernst.“ Warum sollen sie dann in Zukunft das tun, was ihr Lehrer bzw. ihre Lehrerin von ihnen verlangt?
Sie lobt ihre Schülerinnen und Schüler selbst für kleine Schritte in die richtige Richtung, wie zum Beispiel, „Es klappt schon viel besser als beim ersten Mal, prima. Das schafft ihr!“. Selbst wenn sie dann bereits dreimal geübt hat. Natürlich lobt sie besonders, wenn es ihre Schülerinnen und Schüler das erste Mal geschafft haben.
Sie wiederholt den ganzen Ablauf während den nächsten Tagen und Wochen und achtet jedesmal darauf, dass es exakt klappt.
Der ausschlaggebende Punkt ist nicht, wie der Verfahrensablauf im Detail aussieht, sondern wie die Lehrerin bzw. der Lehrer bei seiner Einführung kommuniziert. Nämlich kurz, klar, positiv und motivierend. Und ohne abwerten, kritisieren, schimpfen oder ermahnen.
Tipp: Guter Unterricht besteht aus tausend kleinen wohldurchdachten Schritten – und nicht aus einem Supertrick, der alle Probleme löst.
Die Vorteile
Natürlich muss Frau Fuchs nicht so vorgehen. Sie kann auch einfach die Dinge laufen lassen. Und dann? Dann herrscht bereits zu Beginn des Unterrichts Unordnung und Durcheinander. Frau Fuchs muss erst einmal für Ruhe sorgen. Sie muss ermahnen und die erste Lehrer-Schüler-Interaktion wird von ihren Schülern und Schülerinnen als negativ erlebt. Kein günstiges Lernklima und Nährboden für weitere Konflikte. Das Risiko, dass die Schülerinnen und Schüler immer weniger kooperieren wächst. Und damit auch Disziplinprobleme und Unruhe.
Mit ihrem ruhigen aber bestimmten Vorgehen hat sich Frau Fuchs als Lehrerin klar positioniert. Ohne laut zu werden. Ohne zu ermahnen. Ohne viel zu reden. Und ohne dass die Beziehung zu ihren Schülern und Schülerinnen langfristig leidet.
Tipp: Je öfter der Lehrer schimpft und ermahnt, desto mehr gewöhnen sich die Schüler daran. Und reagieren immer weniger.
Frau Fuchs hat nonverbal deutlich gemacht, dass sie es mit ihren Anweisungen und Aufträgen ernst meint. Das haben jetzt alle Schülerinnen und Schüler intuitiv verstanden. In Zukunft werden sie ihre Anweisungen besser befolgen. Im Klassenzimmer wird es ruhiger und geordneter zugehen. Ein positives Lernklima entsteht. Das fördert auch die Beziehung zwischen ihr und ihren Schülern und Schülerinnen. So arbeitet Frau Fuchs gerne mit ihrer Klasse. Ihre freundliche und positive Haltung strahlt auf ihre Schülerinnen und Schüler aus.
Tipp: Je schwieriger die Klasse, desto weniger geht es in den ersten Unterrichtswochen um Unterrichten – sondern um Classroom-Management.
Varianten für den Schulbeginn
- Alle Schülerinnen und Schüler sammeln sich vor Schulbeginn klassenweise auf einem ihnen zugewiesenen Areal des Schulhofs. Der Lehrer bzw. die Lehrerin holt dort seine Klasse ab und geht mit ihr ins Klassenzimmer. In diesem Fall sind aber auch Lehrerinnen und Lehrer zur Aufsicht auf dem Schulhof nötig.
- Ab einem definierten Zeitpunkt wird die Schule geöffnet. Die Schülerinnen und Schüler treffen zu unterschiedlichen Zeiten in der Schule ein, begeben sich sofort in ihr Klassenzimmer, in dem ihre Lehrerin bzw. ihr Lehrer bereits auf sie wartet.
Es erleichtert die Arbeit aller Lehrerinnen und Lehrer, wenn sich die gesamte Schule auf einen Ablauf einigt.
Natürlich muss der Lehrer bzw. die Lehrerin bei älteren Schülerinnen und Schülern dieses Verfahren entsprechend anpassen. Das kann hier aus Platzgründen nicht näher erörtert werden.
Kein anderes Merkmal ist so eindeutig und konsistent mit dem Leistungsniveau und dem Leistungsfortschritt von Schulklassen verknüpft wie Classroom-Management. Es basiert auf einer guten Beziehung der Lehrkraft zu seinen Schülern und Schülerinnen, verbessert das Klima im Klassenzimmer und reduziert Disziplinschwierigkeiten und Konflikte.
Classroom-Management bietet eine Fülle variabel einzusetzender Optionen, die der Lehrer bzw. die Lehrerin passgenau für den eigenen Unterricht zuschneiden kann. Mehr erfahren Sie in der entsprechenden Fachliteratur.
Christoph Eichhorn ist Schulpsychologe in der Schweiz und Autor zum Thema Classroom-Management. Er arbeitet als Lehrbeauftragter an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und gibt Workshops, Online-Workshops und hält Vorträge zu Classroom-Management.
Literatur:
Eichhorn, C. (2012): Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta. 6. Aufl
Eichhorn, C. (2013): Chaos im Klassenzimmer – Classroom-Management – Damit guter Unterricht noch besser wird. Klett-Cotta