In der Schule gesund bleiben
Wir haben Privilegien - genießen wir sie.
Wir haben Privilegien, das dürfen wir uns eingestehen.
Zum Beispiel unsere Arbeitszeit: Jedes Jahr am Anfang der Sommerferien erscheint es mir unglaublich: neun Wochen frei! Aber jedes Jahr vergeht die Zeit schnell und wenn ich zu Ferienmitte Kolleginnen und Kollegen treffe, heißt es: „nur mehr vier Wochen!“ Wenn uns da nur keiner zuhört.
Überhaupt: Ferien zu haben, wenn die eigenen Kinder Ferien haben - das ist schon eine große Erleichterung in der Familienorganisation.
Oder unsere Versicherung:
Als ich auf Kur in Bad Leonfelden oder Bad Ischl war, habe ich mich sehr verwöhnt gefühlt. Insgesamt ist die LKUF mit den vielen (präventiven) Angeboten und hohen Leistungen ein großer Vorteil.
Oder unsere Job-Sicherheit:
Wenn man Meldungen über Stellenabbau, Kündigungen oder erfolglose Jobsuche hört, sehen wir, wie sicher unser Arbeitsplatz ist. Wenn wir keine groben Verfehlungen machen, werden wir unseren Job nicht verlieren.
Ich meine ja, dass es jedem/-r Lehrer/-in gut tun würde, im Abstand von 2 Jahren für ein paar Monate in der Privatwirtschaft zu arbeiten - wir würden danach viel an unserem Job wieder schätzen.
Wir haben Belastungen - nehmen wir sie wahr.
Umgekehrt täte es jedem, der auf LehrerInnen schimpft, gut, wenn er/sie sich einmal für eine gewisse Zeit in eine Klasse stellen und die pädagogische Arbeit mit all ihren Facetten kennenlernen würde: mit Kindern zu arbeiten, die unmotiviert sind, nicht ruhig sitzen können und schon gar nicht zuhören, Berge von Heften zu verbessern, Streit schlichten, Noten vergeben usw... Nicht zu vergessen, die ganzen bürokratischen und organisatorischen Aufgaben - von der ESA-Verwaltung bis zum Milchgeld-Einsammeln.
Auch wenn es gelingt, wenn wir gut klarkommen mit unseren Klassen, wenn wir die Organisation im Griff haben, zu unseren SchülerInnen gute Beziehungen haben: Wenn wir uns auf unsere SchülerInnen einlassen, sind wir immer konfrontiert mit Persönlichkeiten und Lebensgeschichten. Darunter sind schwierige, belastende, erschütternde. Dies gilt es jeden Tag zu verarbeiten. Man kann das nur schwer mit einer anderen Arbeit vergleichen. Wir haben Herausforderungen - suchen wir Lösungen. Tatsächlich, wir haben viele Belastungen. Natürlich dürfen wir manchmal darüber jammern - das ist ein kurzfristiger Spannungsausgleich, aber es verändert die Situation nicht. Stellen wir uns den Belastungen, den Problemen und Herausforderungen unseres Berufes mit der Frage: Wie können wir sie lösen? Wo brauche ich Hilfe für mich persönlich, wo brauchen wir als Team Unterstützung? Was können wir verändern und was müssen wir annehmen, auch wenn es nicht wirklich optimal ist?
Achten wir auf unser Team - wir sitzen in einem Boot.
Durch Veränderung der Schulorganisation sind LehrerInnen deutlich mehr als früher damit konfrontiert, im Team zu arbeiten. In Bezug auf die Arbeit in der Klasse wird damit für viele spürbar, dass es erleichtert, nicht immer EinzelkämpferIn zu sein. Vier Augen sehen mehr, wir können uns gegenseitig stärken und gleichzeitig entlasten. Doch genauso wichtig ist es, das gesamte Kollegium als Team wahrzunehmen und zu pflegen. In vielen Schulen arbeiten Kollegen und Kolleginnen schon Jahre zusammen, da hat sich Gutes, aber auch manch Schwieriges angesammelt, mancher Konflikt ist unter den Teppich gekehrt worden - es herrscht „dicke Luft“ im Lehrerzimmer. Dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, rückt erst langsam in unser Bewusstsein. Doch Kinder atmen diese „dicke Luft“ ein. Sie spüren, wenn die Eltern streiten, genauso spüren sie das Klima in der Schule. Schule gestalten heißt auch, sich diesen Aspekten angemessen zu stellen, Konflikte anzusprechen und aufzuarbeiten. Vielleicht auch Hilfe zu holen, damit die Luft wieder klar wird.
Erlauben wir uns, Fehler zu machen - und stehen wir dazu.
Es ist ein großes Thema in der Schule: Wir streichen jeden Fehler unserer SchülerInnen an, korrigieren, bewerten - und da sollten wir selbst Fehler machen dürfen. Wer korrigiert und bewertet uns? Es braucht eine neue Sichtweise. Als Basis dient der grundsätzliche Wunsch: „Ich möchte meine Arbeit gut machen“, aber gleichzeitig auch das Vertrauen: „Du möchtest deine Arbeit gut machen.“ Dies gilt für SchülerInnen genauso, wie für LehrerInnen. Vieles gelingt, aber immer wieder geht auch etwas schief. Das ist ein guter Ansatz zum Lernen: Fehler kann man wiedergutmachen. Auch das gilt für SchülerInnen wie für LehrerInnen.
Vertrauen wir unseren Fähigkeiten - kümmern wir uns um unsere Schwächen.
So wie es bei SchülerInnen unterschiedliche Begabungen gibt, gibt es die auch bei LehrerInnen: Manche von uns sind toll in der Förderung von besonders Begabten, andere in der Unterstützung von Schwachen. Manche haben im fachlichen Bereich ihre Stärken, andere im sozial-emotionalen oder organisatorischen. Umgekehrt haben wir auch unsere Schwächen. Und genau wie wir erwarten, dass SchülerInnen sich mit ihren Schwächen auseinandersetzen, sollten wir das auch tun, vielleicht brauchen wir dabei Unterstützung. Dabei müssen wir nicht überall ein "Sehr gut" erreichen, aber ein "Genügend" muss in jedem Bereich sein.
Lachen wir.
Lachen wir, wenn wir in die Schule gehen und wenn wir wieder hinausgehen. Und vor allem: dazwischen. Nicht immer braucht es einen Grund, gut aufgelegt und freundlich zu sein. Und das Wichtigste: auch einmal über sich selbst zu lachen - das befreit ungemein.
Seien wir Menschen - mit allem was dazugehört.
Ärger, Wut, Trauer, Enttäuschung gehören zum Leben. Wir LehrerInnen sind Menschen und das dürfen wir auch in der Schule sein. Es braucht Professionalität, Abgrenzung und Rollenklarheit. Emotionale Kompetenz bedeutet, die Bandbreite der Gefühle wahrzunehmen und angemessene Reaktionen zu setzen. Man kann z.B. SchülerInnen gegenüber eingestehen: "Mir geht es heute nicht gut. Ich bin ärgerlich/traurig/müde... - das hat nichts mit euch zu tun." Wir sind immer Vorbild. Die SchülerInnen nehmen uns als Gesamtpersönlichkeit wahr. Sie nehmen auch wahr, wo wir emotional stehen. Gerade weil es ihnen auch nicht immer gut geht, ist es befreiend, wenn sie erleben, dass das genauso für ihre LehrerInnen gilt.
Halten wir uns die Möglichkeit offen, auszusteigen.
Es gehört zu einer professionellen Arbeit, dass es auch die Möglichkeit eines Ausstiegs gibt. Für jeden von uns ist es wichtig, sich selbst diese Fragen immer wieder zu stellen: "Will ich in diesem Job sein? Mag ich meine Arbeit? Mag ich Kinder/Jugendliche?" Es tut gut, wenn die Antwort ist: "Ja, meine Arbeit ist herausfordernd, aber ich mag sie. Es gibt eine Reihe von Ärgernissen oder Problemen, aber das Gute überwiegt."
Was ist, wenn ich merke, dass ich mit manchem gar nicht klar komme? Und was, wenn die schwierigen Seiten immer mehr die positiven verdrängen?
Schule darf kein Abstellgleis und auch keine geschützte Werkstätte sein. Es muss möglich sein zu sagen: "Es geht nicht, ich steige aus, ich werde in diesem Job nicht glücklich." Das wäre für manche LehrerInnen und für viele SchülerInnen eine Befreiung.
Und das Wichtigste: Freuen wir uns an den Kindern und den jungen Menschen.
Schauen wir sie an: Jedes einzelne Kind mit seiner Unsicherheit, mit seinem Witz, seiner Zaghaftigkeit, seinen überschäumenden Ideen, den Hoffnungen und Ängsten.
Freilich, sie nerven; sind laut, lästig, unmotiviert, provozierend...
Aber sie sind das Wichtigste in unserem Job - um sie geht es. Wir können nicht LehrerIn sein und Kinder nicht mögen. Sie brauchen unser Vertrauen, unsere Kraft und Klarheit. Und unsere Freude an ihnen.
Mag. Andrea Froschauer-Rumpl - Psychologin, Pädagogin, arbeitet seit vielen Jahren als Betreuungslehrerin. War 9 Jahre im Koordinationsteam der OÖ BetreuungslehrerInnen.